Der Sozialraum Wattenscheid-Mitte hat ca. 21.000 Einwohner und ist einer von acht Ortsteilen im Bochumer Stadtbezirk Wattenscheid. Statistische Daten über Bevölkerungsdichte, Arbeitslosenquote, Haushaltseinkommen, Wohnsituation, Anteil an kinderreichen Familien, Migrationshintergründen und Alleinerzieher_innenhaushalten weisen Wattenscheid-Mitte als einen in hohem Maße belasteten Sozialraum aus – insbesondere in Bezug auf die Lebensqualität und Bildungschancen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Selbst drastische Hilferufe nach Veränderungen – wie über die öffentlich proklamierte Vorbereitung von Schulkindern auf etwaige Hartz-IV-Lebensläufe – führten nicht zu wirkungsvollen Umgestaltungen der Lebensverhältnisse für die hier lebenden Menschen.
BILDUNG(S)GESTALTEN bot nun die Option, dass der Träger PEV (Progressiver Eltern- und Erzieher_innenverband, Jugendhilfe- und Bildungsträger mit dem Schwerpunkt Familie) mit seinem konzeptionellen Ansatz, einer Koordinierungsstelle und konkreten Angeboten im Sozialraum, neue Impulse einer Bildungslandschaft „von unten“ in der Community und in der Trägerlandschaft setzen konnte. Dabei waren Aspekte von Partizipation und Ganzheitlichkeit, personeller Präsenz und Lebenslagenorientierung, respektvoller Offenheit und dialogischer Kommunikationsstruktur, Nachhaltigkeit sowie träger-, institutions- und professionsübergreifendem Handeln profilbildende Bausteine mit den Schwerpunkten „Bildung durch Bindung“ und „Schaffung von Aneignungsgelegenheiten“.
Vernetzung
Im Rahmen der Träger- und Projektressourcen des PEV wurde ein Netzwerkkonzept zu BILDUNG(S)GESTALTEN in Wattenscheid-Mitte konkretisiert und implementiert. Die anfängliche Kontaktaufnahme zu verschiedenen im Sozialraum aktiven Gruppen (Jugendhilfe, Bildungsinstitutionen, Kultur, soziale Dienste, …) – einzeln und über bereits vorhandenen Kommunikationsstrukturen wie die Sozialraumkonferenz – machte das Projekt schnell bekannt. Der eingebrachte Impuls, eigene Wünsche und Ideen der Akteur_innen aufzugreifen und daraus konkrete Angebote zu entwickeln, stieß gleichermaßen auf Widerhall und latente Skepsis. Die Erfahrbarkeit praktizierter Wertschätzung und die Offenheit der eigenen Positionierung sowie die gemeinsame fachliche Reflexion der geäußerten Ideen führten in Verbindung mit fassbarer gemeinsamer Praxis dazu, dass die einzelnen Akteur_innen sich über das bisherige Maß hinaus aufeinander, auf neue Sichtweisen, Konzepte und Aktionsformen einzulassen begannen. In einem personalintensiven Beziehungsprozess entstanden unter Beibehaltung von Auftrags-, Angebots- und Trägerprofilen der Akteur_innen nicht nur neue personelle Strukturen, sondern auch ein deutlich erweitertes Eigen- und Gesamtbild über die ganzheitlichen Bedarfslagen der hier lebenden Menschen sowie über Chancen und Möglichkeiten der Förderwirksamkeit als Netzwerk.
Durch eine vom PEV forcierte Partizipationsstrategie der Bevölkerung über eine frühe aktivierende Befragung und weitere nachfolgende Beteiligungsangebote entwickelte sich ein gemeinsames Verständnis im Sozialraum, das in Anlehnung an den Standort den Namen „HATWATT !“ erhielt.
Die Aktionsplanung erfolgte sukzessive auf der Grundlage der Befragungsergebnisse und der aktuellen Dialoge mit den Kooperationspartner_innen. Im Sinne der Nachhaltigkeit wurden die Akteur_innen zur Suche nach kreativen Wegen für eine zielgerichtete Zusammenführung ihrer Ressourcen motiviert. Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass hierzu eine sozialraumbezogene Prozessbegleitung und eine gewisse finanzielle Grundabsicherung von profilbildenden Kernangeboten und freien Entwicklungsprojekten unerlässlich sind.
Angebote
BILDUNG(S)GESTALTEN/HATWATT ! war in den drei Projektjahren mit zahlreichen innovativen Projekten mit Kindern, Jugendlichen und Eltern für Anbieter_innen wie Adressaten_innen erfahrbar und dabei teils federführend, teils als Initiator_in und manchmal als Partner_in unter vielen tätig (Lotsinnen, Familien-Patinnen; FreiRäume, aktivierende Befragung, Familienbildungsurlaube, Theaterprojekte und Jugendworkshop, Zirkus-AG u.v.a). Die Aktivitäten griffen kulturelle Traditionen auf und lehnten sich an Formen und Formate der Sozialraumakteur_innen an – vielfach wurden diese aber auch kreativ über systemische Grenzen hinweg weiterentwickelt. Die entstehenden Beziehungen und Perspektiverweiterungen motivierten zunehmend Kooperationspartner_innen, Initiativgruppen sowie engagierte Bewohner_innen zur Teilhabe an Planung und Durchführung weiterer Aktionen und Aktivitäten. Dabei wurden etliche Impulse umgesetzt, die im Rahmen der aktivierenden Befragung (z. B. Ladies-Night) und anderen Partizipationsprojekten (z. B. Jugendcafé) direkt aus dem Kreis der hier lebenden Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen/Eltern geäußert worden waren.
Motivation, Spaß und Zweckfreiheit als Attribute dieser informellen Bildungsangebote förderten gerade bei den Kindern und Jugendlichen immer neue Ideen zutage, da sie sich und die Profis wechselseitig als Lernende und Gestaltende erleben konnten. Somit erweiterte sich der Aktionsraum auf den gesamten Stadtteil und darüber hinaus. Diese praktizierte Selbstwirksamkeit setzte soziale Grenzen außer Kraft und integrierte unterschiedliche Fähigkeiten sowie kulturelle Prägungen.
Die Unterstützungs- und Bildungsangebote für Erwachsene waren teils individuell, teils systemisch ausgerichtet (Patin, Familienbildungsangebote …). Die Zusammenarbeit mit Eltern und Fachkräften aus Kindertagesstätten und Schulen ermöglichte dabei alternative Begegnungen und neue Perspektiven mit erkennbaren Impulsen hinsichtlich Haltung, Umgang und Qualifizierung – gerade bei den Profis.
Öffentlichkeit
Um das gesamte Gemeinwesen im Hinblick auf Aneignungsgelegenheiten, Beteiligungsimpulse und informelle Bildungsangebote „in Bewegung zu bringen“, wurden eine öffentliche Präsenz und der Diskurs in der allgemeinen, politischen und Fachöffentlichkeit gepflegt. Für Wattenscheid-Mitte wurde neben den BILDUNG(S)GESTALTEN die dem Kommunikationsprozess entstammende Wortmarke „HATWATT !“ erfolgreich zum Identifikationssymbol und Synonym für den ressourcen- und zukunftsorientierten Konzeptansatz weiterentwickelt. Das Symbol taucht auf der Homepage www.hatwatt.de, bei allen Aktionen und als sichtbares Erkennungsmerkmal (Schal) von Akteur_innen auf; der Konzeptansatz wird bei Pressekontakten, bei Präsentationen und (fach-)politischen Diskursen kontinuierlich kommuniziert, um den (erweiterten) Bildungsbegriff der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Familienbildung, die wertschätzende Haltung und die Kooperationskultur einer Bildungslandschaft „von unten“ deutlich zu machen.
Genauso wichtig war der offene Austausch mit Akteur_innen wie z. B. dem Jugendring, dem Kinder- sowie dem Bildungsbüro der Stadt, den kommunalpolitischen Vertreter_innen oder dem Jugendamt. Der überörtliche Transfer wurde über die Koordinierungsstelle BILDUNG(S)GESTALTEN sichergestellt wie etwa beim Besuch der Landtagspräsidentin Carina Gödecke vor Ort.
Perspektivisch zeigen sich die örtliche Politik und die Jugendverwaltung sehr interessiert daran, den Konzeptansatz „HATWATT !“ weiterzuführen und zu verstetigen. Ebenso haben die im Projektzeitraum gemachten positiven Erfahrungen viele Akteur_innen dahingehend „beflügelt“, gemeinsam eine stadtteilorientierte Idee nach einem interkulturellen und intergenerativen Zukunftshaus Wattenscheid voranzutreiben, um ihre Arbeit zukünftig stärker aufeinander bezogen und mit stärkeren Öffentlichkeits- und Beteiligungsaspekten für die Menschen gestalten zu können.
Als Projektkoordinatorin am Standort Bochum-Wattenscheid waren Frau Angelika Lücke (Diplom-Geografin)und Frau Gülizar Yörük eingestellt.
Eine Auswahl der Angebote in Bochum-Wattenscheid