Bad Salzuflen ist ein Kurort im Kreis Lippe in Ostwestfalen. Die über 50.000 Einwohner_innen zählende „große Mittelstadt“ setzt sich aus unterschiedlichen teilweise sehr dörflich geprägten Ortsteilen zusammen und steht damit für eher kleine, ländlich geprägte Standorte.
Die Stadt ist durch starke Gegensätze charakterisiert: Der Anteil älterer Menschen steigt, während der junger Menschen sinkt. Während eine Vielzahl von Haushalten in Bad Salzuflen über hohe Einkommen verfügt, lebt jedes fünfte Kind unter fünf Jahren von sozialen Transferleistungen. Durch den Kurgasttourismus weist Bad Salzuflen eine starke Ausrichtung auf ältere, einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen aus. Zudem gibt es in den ländlichen Ortsteilen ausgeprägte Vereinsstrukturen, in die viele Kinder und Jugendliche eingebunden sind. Vor diesem Hintergrund ist das Spektrum an Trägern und Angeboten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Familienbildung überschaubar.
Das Projekt BILDUNG(S)GESTALTEN konzentriert sich auf die Ortsteile Schötmar, Ehrsen-Breden und Bad Salzuflen. Sie alle weisen einen hohen Anteil von kinderreichen Familien mit geringem Einkommen auf, etwa 40% der Kinder und Jugendlichen haben dort einen Migrationshintergrund. Diese Zielgruppe ist in den Vereinen außerhalb des Sportes stark unterrepräsentiert. Mit zwei großen Jugendzentren und einigen dezentralen Treffs steht ihnen ein begrenztes Angebot an non-formalen Bildungsorten zur Verfügung, in denen sie das Hauptpublikum stellen.
Kooperationspartner_innen des Projektes sind die AWO OWL e.V. und der Pro Regio e.V. Die beiden größten freien Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Bad Salzuflen verfügen durch die Zusammenarbeit mit der Stadt im Sozialraumprojekt „Netzwerk Integration“ bereits über Kooperationserfahrungen, die innerhalb des überschaubaren Träger-Spektrums am Standort noch recht schwach ausgeprägt sind.
Vernetzung
Zunächst wurde die lokale Lenkungsgruppe gebildet, die sich aus der Standortkoordinatorin und dem zentralen Projektkoordinator als Vertreter_innen des Projektes sowie Vertreter_ innen der beteiligten Träger, der Stadt und den Kirchengemeinden zusammensetzte.
Als erste Maßnahme wurde eine trägerübergreifende Kooperationsgruppe eingerichtet, die das Zusammenbringen der lokalen Akteur_innen zum Ziel hatte. Vertreten waren darin Fachkräfte aller Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, der städtischen Musikschule und Bibliothek sowie Vertreter_innen des Jugendamtes und der kommunalen Bildungsförderung. Angesichts der schwach ausgeprägten Vernetzung war das Zusammenwirken als „Jugendarbeit im Team“ der Arbeitsschwerpunkt am Standort. In den ersten Treffen definierten die Kooperationspartner_innen den Ist-Zustand in Bad Salzuflen und erarbeiteten gemeinsame Bildungs- und Projektziele. Es folgte die gemeinsame Entwicklung und Durchführung einer umfangreichen Angebotsreihe für die Kinder und Jugendlichen vor Ort. Die Teilnehmer_innen der Kooperationsgruppe etablierten sich zunehmend als Impulsgeber_innen für die kommunale Jugendhilfeplanung. So erarbeiteten sie etwa ein erfolgreich verabschiedetes Konzept zur Neuordnung der Kinder- und Jugendarbeit, das unter anderem die Einrichtung einer neuen Stelle in der mobilen Jugendarbeit sowie den Beschluss für ein Jugendcafé beinhaltete.
Die Einrichtung der Gruppe wurde von allen beteiligten Akteur_innen als Gewinn erlebt, ganz besonders von den Akteur_innen, die nicht in den Strukturen des Jugendamtes involviert waren oder die als einzige Fachkraft in Einrichtungen arbeiten. Nach Projektende ist die Weiterführung der Zusammenarbeit dieses Teilnehmer_innen-kreises im Rahmen der Vernetzungsstrukturen des kommunalen Jugendamtes geplant.
Angebote
Aus dem fachlichen Austausch über vorhandene Bedarfe gingen in Bad Salzuflen zahlreiche innovative Projekte für junge Menschen und deren Familien hervor. Neben Veranstaltungen wie Mütter-Bildungs- und Begegnungstagen wurden zahlreiche Angebote für Kinder und Jugendliche entwickelt, die sich um den Schwerpunkt Aneignung von (Frei-) Räumen drehten, etwa Parkour-Workshops, Projekte zur Mitgestaltung öffentlicher Räume oder zur Erfassung ihrer Sicht auf ihre Stadt.
Besonders deutlich wurde der Mehrwert der Vernetzung am gemeinsamen Projekt „Move“: Um den Zugang der Zielgruppe zu den vorhandenen Bildungs- und Erfahrungsorten zu erhöhen, brachten alle Einrichtungen der Kooperationsgruppe Angebote in das Projekt ein, die auf einem gemeinsamen Flyer präsentiert und über die Schulen verteilt wurden. Die Möglichkeit zum kostenlosen, unverbindlichen Reinschnuppern und die gezielte Ermutigung von Besucher_innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zur Teilnahme an Angeboten anderer Einrichtungen bauten unsichtbare Zugangshürden erfolgreich ab. Mit der Angebotsreihe wurden über 300 junge Menschen erreicht, darunter viele neue Nutzer_innen und Zielgruppen. Die Resonanz auf die Angebote ist durchweg positiv, die Reihe zunehmend etabliert und das Interesse an einer Weiterführung hoch.
Den Fachkräften erwies sich der Wert des gemeinsamen Projektes zum einen in der kollektiven Antragstellung, durch die der Aufwand für die Schaffung zusätzlicher Angebote minimiert wurde. Zum anderen diente das Projekt als Vehikel für die konkrete Zusammenarbeit, da die sichtbaren Erfolge das Zusammenwachsen zur „Jugendarbeit im Team“ substanziell stärkten.
Öffentlichkeit
Für die Erhöhung der Sichtbarkeit der Kinder- und Jugendarbeit und ihres Potenzials als Bildungsort war das Projekt „Move“ von großer Bedeutung: Entscheidend dafür war vor allem der Flyer, der über die Schulen nahezu alle Haushalte mit Kindern erreichte. Eltern und Kinder erhielten so erstmals einen Überblick über das Angebotsspektrum vor Ort. Das gemeinsame Auftreten der Fachkräfte auf öffentlichen Veranstaltungen wie dem Umwelt- oder dem Weltkindertag ließ sie ebenfalls als Team mit gemeinsamen Zielen und einem klaren Bildungsverständnis erkennen. Wichtig für die Außenwirkung waren ebenfalls die gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Kontakte zur Lokalpresse.
Weiterhin machte das Projekt die Bedingungen des Aufwachsens junger Menschen auch in Bad Salzuflen gezielt zum Thema öffentlicher und fachpolitischer Diskussionen, etwa durch Fachveranstaltungen und die Vorstellung des Projektes in politischen Gremien. Mit Blick auf die Landespolitik war der Besuch der Jugendministerin Ute Schäfer ein Highlight am Standort.
Diese Profilierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ist gerade in der ländlichen Region ein Erfolg, da in den kleinen Einrichtungen mit nur einer Fachkraft ein Team zur Reflexion der Arbeit fehlt, das aufgrund schwacher Vernetzungsstrukturen kaum aufgefangen werden kann. Durch Öffentlichkeitsarbeit und fachliche Diskussionen gelang es den beteiligten Akteur_innen, dass die Bildungslandschaftsdebatte in Bad Salzuflen angekommen ist. Maßnahmen wie eine Schüler_innenbefragung stießen Debatten an, durch die ein Bewusstsein für den Mangel und die Notwendigkeit von Orten und Freiräumen für junge Menschen in der Kurstadt geschaffen wurde. Die Einsicht und das Bekenntnis der Salzuflener Bildungs- und Jugendpolitik, dafür einzutreten, dass sie von ihrem gleichberechtigten Recht auf Stadt Gebrauch machen können, ist ein Erfolg des Projektes.
Als Projektkoordinatorin am Standort Bad Salzuflen war Frau Katja Mönningmann-Steinhoff (Diplom-Soziologin) und nach ihrem Ausscheiden Frau Anika Duveneck (Diplom-Geografin) eingestellt.
Eine Auswahl der Angebote in Bad Salzuflen: