Speziell 14 bis 21-jährige Jugendliche brauchen in Bochum-Wattenscheid einen Ort, an dem sie sich auch außerhalb der vorhandenen Jugendeinrichtungen nach eigenen Vorstellungen und Wünschen in zentraler Lage treffen und ihre Freizeit gemeinsam gestalten können (Jugendcafé). Dies wurde von den zuständigen Streetworkern aus der Sozialraumkonferenz, den Schulsozialarbeiter_innen der ansässigen Schulen sowie von der Standortkoordinatorin BILDUNG(S)GESTALTEN / Netzwerk HATWATT aus verschiedenen Zusammenhängen heraus fachlich bestätigt.
Auch beim Filmprojekt „WAT geht ab?!“ von und mit Jugendlichen aus Bochum-Wattenscheid (s. Filmprojekt „WAT geht ab?!“) konnte BILDUNG(S)GESTALTEN / HAT WATT diese Bedarfe feststellen.
Zufälligerweise trafen sich diese Bedarfsanzeigen mit einer kurzfristigen Entwicklung im bisherigen Angebotsspektrum (Aufgabe eines Jugendfreizeitzentrums vor Ort durch den Träger zum Ende 2014), wodurch einerseits ein kommunalpolitischer Handlungsbedarf beim Jugendamt entstand und gleichzeitig entsprechende Umsetzungsressourcen zur Verfügung gestellt werden konnten.
Das Jugendamt der Stadt Bochum agierte in dieser Frage sehr offen und offensiv, sodass im Prozess einer Entwicklung neuer Angebotsperspektiven sowohl Fachkräfte der freien Trägerschaft als auch die Jugendlichen selbst – quasi nicht mehr nur als Abnehmer sondern auch als Konstrukteure eines jugendgerechten Angebotes – beteiligt wurden. Über die kurzwegig und konkurrenzarm funktionierende Netzwerkkontakte konnte die Standortkoordinatorin mit „Planning for Real“ nicht nur eine angemessene Beteiligungskonzeption für den Prozess anbieten, sie konnte auch begleitende Aktivitäten (Zukunftswochenende Planet „B“) organisieren oder unterstützend initiieren.
Gemeinsam mit weiteren ansässigen Akteuren ist ein Arbeitskreis entstanden, der diesen Prozess als Projekt begleiten und unterstützen möchte und sich aus einem vielfältigen Personenkreis aus Standortkoordinatorin, pädagogischen Fachkräften, dem Jugendamt der Stadt Bochum, einem Streetworker und einem Architekten aus Bochum-Wattenscheid zusammensetzt. Mit Hilfe dieses Personenkreises, über die Presse, die Homepages der Kooperationspartner, das Eigenengagement der Jugendlichen sowie über ergänzende Projekte von BILDUNG(S)GESTALTEN / Netzwerk HATWATT wurden Jugendliche u.a. aus verschiedenen SEK I Schulen (Pestalozzi-Realschule, Märkisches Gymnasium, Liselotte-Rauner-Hauptschule) konkret für das Partizipationsprojekt zur Planung und Mitgestaltung „ihres“ Jugendcafés aufgerufen. So entstand eine heterogene Jugendgruppe aus 10 bis 15 Mädchen und Jungen im Alter von 13 bis 18 Jahren, aus verschiedenen Nationen (Türkei, Deutschland, Libanon) und aus unterschiedlichen Schulformen (Haupt-, Real-, Gesamtschule und Gymnasium), die sich regelmäßig an der Planung, Gestaltung und konkreten Umsetzung „ihres“ Jugendcafés in den Arbeitsgruppen: Öffentlichkeitsarbeit, Film- und Interviewgruppe, Gruppe Sponsorensuche und Modellbau beteiligen. Mit Hilfe eines selbstgebauten Modells aus Modellagemasse, Styropor und Holz wurde die Idee veranschaulicht und an öffentlichen Plätzen, in Vereinen und OTs anderen Jugendlichen präsentiert und zur Diskussion bereitgestellt.
Die Suche nach einem geeigneten Ladenlokal (bis ca. 200 m²) in zentraler Lage von Bochum-Wattenscheid-Mitte war glücklicherweise relativ schnell erfolgreich, sodass derzeit mit Hochdruck baulich, gestalterisch und konzeptionell an einer Eröffnung Ende 2014 / Anfang 2015 als (partizipatives) Jugendcafé gearbeitet wird. In einem zentral gelegenen und bereits angemieteten Ladenlokal in Wattenscheid-Mitte engagieren sich die Jugendlichen für die Vorbereitung der Räume auf die Umsetzung der Ideen und Vorstellungen aller interessierten Jugendlichen, indem sie z.B. selbst alte Tapeten und Teppiche entfernen. Die Motivation der Jugendlichen ist groß. Durch die eigene Gestaltung und Beteiligung an Entwicklungsprozessen an den Räumen erreichen sie zudem einen hohen Identifikationswert mit dem zukünftigen Jugendcafé. Auch deren zukünftige inhaltliche Entwicklung (konkrete Angebote, gemeinsame Planung von Events und Veranstaltungen, selbstverantwortliche Übernahme etc.) soll ganz nach den Wünschen und Vorstellungen der Jugendlichen erarbeitet und umgesetzt werden.
Die Jugendlichen sind voll motiviert und in hohem Maße verantwortlich engagiert. Und natürlich wird und muss es eine Mitarbeit der pädagogischen Fachkräfte auch im Jugendcafé geben – nur das Rollenverständnis hat sich auf allen Seiten inzwischen sicherlich ein Stück verschoben.
Dieses Partizipationsprojekt bietet den Jugendlichen in der Laufzeit von ca. 7 Monaten immer wieder die Möglichkeit innerhalb verschiedener Projektphasen ihre Stärken und Schwächen zu erkennen, sich neue und umfangreiche Kompetenzen – persönlich und als Gruppe – anzueignen und ihre Vorstellungen mit immer neuen Ideen weiterzuentwickeln. Neben Kreativität, Konzentration, Durchhaltevermögen und Kompromissfähigkeit lernen die Jugendlichen, Prozesse mit ihren Gruppenmitgliedern abzusprechen und untereinander zielführend und verbindlich Aufgaben zu verteilen.
Eine zentrale Rolle kommt dabei auch dem pädagogischen Team aus dem bisherigen Jugendfreizeitzentrum zu, das den Jugendlichen jetzt als kompetente Ansprechpartner und Prozessbegleiter sowohl bei den Planungs- und Umsetzungsphasen als auch darüber hinaus – z.B. für persönliche Gespräche auch in ganz anderen Zusammenhängen – zur Seite steht. Denn bei diesem Prozess geht es nicht allein um das Jugendcafé, sondern um die Beziehungen zueinander und die Entwicklung jedes einzelnen Jugendlichen.
Nahezu nebenbei begleitet über das Netzwerk auch eine Sozialpädagogin des Kinder- und Jugendförderprojektes X-Vision Ruhr als Beauftragte des Kompetenznachweis Kultur die Jugendlichen in diesem Prozess. Ihre Aufgabe ist es, der Gruppe für individuelle und gemeinsame Reflexionen zur Verfügung zu stehen. Dabei dokumentiert sie die besonderen Fähigkeiten sowie den Kompetenzzugewinn jedes Einzelnen.
Zum Abschluss des 7-monatigen Projektes erhalten dann alle Teilnehmer_innen ein Zertifikat, auf dem ihnen ihre erworbenen bzw. weiterentwickelten Kompetenzen und Fähigkeiten in einer anerkannten Form dokumentiert werden – z.B. auch für spätere Bewerbungsunterlagen. (Dies erfolgt in Kategorien wie z.B.: Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenz, künstlerische Kompetenzen, Teamfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Toleranz, Kommunikationsfähigkeit, Kritik- und Konfliktfähigkeit, Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein, Bildungskompetenzen, Lern-, Planungs- und Organisationsfähigkeit, kreative Fähigkeiten oder Phantasie).
Parallel dazu werden einzelne Prozesse (z.B. beim Modellbau, Diskussion und Interviews mit Peergroups über das Modell sowie die inhaltliche Planung, Umgangsregeln etc.) als Videosequenzen gefilmt, um später einen Trailer als Gesamtdokumentation z.B. im Jugendhilfeausschuss der Stadt Bochum zu präsentieren.
Und auch die Eltern sind vom Engagement ihrer pubertierenden Kinder begeistert. Hier gibt es sowohl den Wunsch, einmal ins Jugendcafé eingeladen zu werden, als auch konkrete Angebote, bei der Gestaltung hilfreich Hand anzulegen.
Die Kompetenznachweise Kultur sowie der ca. 10 minütige Trailer sind bereits elementare Bausteine der Dokumentation des Gesamtprojektes, die durch einen Abschlussbericht des pädagogischen Teams der Einrichtung komplettiert werden. Hier werden kritische Aussagen zur Zielerreichung, zu Schwierigkeiten bei der Planung und Umsetzung, zur gruppendynamischen Entwicklung und des Teambildungsprozesses sowie zu wesentlichen Inhalten und Erkenntnissen aus der Reflexionsrunde getroffen. Natürlich werden diese Erfahrungen auch im Netzwerk zur Verfügung gestellt.
Sie können bei weiteren Prozessentwicklungen für die zukünftige Ausgestaltung und Umsetzung von Projektvorhaben mit und vor allem von Jugendlichen genutzt werden.
Kooperationspartner
Jugend- und Freizeithaus Ludwig-Steil-Haus, Jugendamt, Standortkoordinatorin, Filmproduzent, X-Vision-Ruhr, gefördert mit Mitteln des KJFP des Landesjugendamtes
Laufzeit
Seit Januar 2014 – fortlaufend
Bildung/ Bildungsbegriff/ Lerngelegenheit/ Bildungsgelegenheit/ Bildungsort/ Ganztagsbildung, Identität/ Ich-Stärkung/ Identifikation, informelles Lernen/ non-formales Lernen/ Lernen, Motivation/ Motivationsarbeit/ Aktivierung, Networking/ Dialog/ Austausch/ Kommunikation/ Netzwerk/ Netzwerkarbeit, OKJA/OT/ Jugendzentrum/ (mobile) Jugendarbeit,