Bereits im Projekteinstieg von BILDUNG(S)GESTALTEN am Standort Wattenscheid-Mitte wurden wir aus dem Kreis der ansässigen Institutionen auf das Problem der familienscharfen Unterstützung nach Auslaufen der Anspruchsberechtigung auf eine Familienhebamme hingewiesen. Hier gebe es erhebliche Unterstützungsbedarfe in der Bewohnerschaft des Sozialraumes, an die institutionell frühestens erst wieder bei einer Betreuung der Kinder über eine KiTa oder ggf. eine Tagespflegestelle angeknüpft werde.
Dieser dringliche Missstand für junge Familien wurde von der Standortkoordinatorin als eine der ersten Aktivitäten aufgegriffen und mit einschlägigen Institutionen wie Gesundheitsamt, Familienhebammen, Sozialer Dienst/ Jugendamt/ Sozialraumkoordinatorin/ SKFM im Sinne einer zielführenden Kooperation angesprochen.
Bei durchweg positiver Bewertung eines solchen Vorstoßes als Prävention vor Überforderung und sozialer Isolation der Mutter/ der Eltern haben diese Kooperationspartner dann zusammen mit der Standortkoordinatorin von BILDUNG(S)GESTALTEN ein umfängliches Konzept (Ziele, Aufgaben, Qualifizierung, Finanzierung etc.) für diese FAMILIENPATINNEN entwickelt. Innerhalb dieses multiprofessionellen Teams erfolgten weitere Absprachen zu Vorgehensweisen sowie Reflexion im Team, Fallbesprechungen und gemeinsame Weiterbildung zu Schwerpunktthemen wie beispielsweise Transferleistungen, häusliche Gewalt, Kindeswohlgefährdung inkl. Informations- und Materialweitergabe in regelmäßigen Teamtreffen (ca. 1 Mal im Monat über 2,5 bis 3 Stunden), die auch für andere Expert_innen (z.B. Netzwerk Häusliche Gewalt, Netzwerk Alleinerziehende, NORA e.V.) und Einrichtungen offen sind.
Mit dem Projekt FAMILIENPATIN sollte eine Versorgungslücke in der Begleitung und Beratung bei „jungen“ Müttern geschlossen werden, die durch Isolation oder auf Grund anderer Probleme mit sich und der Versorgung ihres Kindes überfordert sind und hierdurch bedingt beim Aufbau einer Bindung zum Säugling oder Kleinkind eingeschränkt sind. Eine Schlüsselrolle kommt der Familienhebamme und den Kinderkrankenschwestern des Gesundheitsamtes zu, die bereits früh einen eventuellen Notstand erkennen und somit präventiv tätig werden können. Für eine nachhaltige und längerfristige Unterstützung im alltäglichen praktischen Tun sowohl bei der Versorgung des Kleinkindes / oder der älteren Geschwisterkinder sowie auch auf der Ebene von allgemeinen Alltagshilfen (Aufräumen, gemeinsame Versorgung des Kindes, Füttern, Begleitung zum Arzt, zur Therapie, zu Behörden, Begleitung zu Elterntreffs, Mutter-Kind-Gruppen, in die Kita etc.) gibt es jedoch oftmals zu wenig Spielraum und zu wenig Personalressource.
Aus dem Netzwerkumfeld konnten für diese verantwortungsvolle Aufgabe zwei Frauen gewonnen werden, die im erzieherischen bzw. pflegerischen Bereich bereits qualifiziert sind und sowohl Lebenserfahrung als auch interkulturelle Kompetenzen und Erfahrungen mit individuellen Problemstellungen mitbringen.
Sie setzen bei den Ressourcen und Stärken an, sind wertschätzend und verstehen sich als Partnerin der Mutter. Sie sind offen, aufmerksam und den Menschen zugewandt ohne zu (ver-)urteilen. Sie unterstützen die Mutter bei ihrer Eigenverantwortlichkeit und Selbsttätigkeit (ganz individuell lassen sie los und schleichen sich mit der Zeit mehr und mehr aus der Rolle der Begleiterin heraus). Sie arbeiten eng mit den Kooperationspartnern / der Familienhebamme und der Familienkinderkrankenschwester und dem Sozialen Dienst zusammen. Sie nehmen an Fortbildungen (beispielsweise des Gesundheitsamtes) und Gesprächsrunden der Kooperationspartner sowie an weiteren Qualifizierungsmaßnahmen z.B. Erste Hilfe am Kind, Fachvorträgen etc. teil.
In der Regel führt die Familienhebamme oder aber die Schwangerschaftsberaterin des SKFM e.V. eine Patin in die Familie ein. Das Angebot für die Eltern ist freiwillig und basiert auf Vertrauen und gegenseitiger Sympathie, da die Besuche in der Wohnung der Familie einen Einblick in die Privatsphäre und dem – oftmals schwierigen – Beziehungsgeflecht zwischen den Familienmitgliedern gewähren.
Eine Rückschau nach einer Laufzeit von 1½ Jahren ergab, dass von den FAMILIENPATINNEN abgesehen von vielen ungezählten Kurzkontakten 10 Familien über einen längeren Zeitraum von mindestens 6 Monaten bis zu einem Jahr intensiv begleitet wurden. Darüber hinaus konnten weitere 7 Mütter/ Familien in einer kürzeren Betreuung unterstützt bzw. weitervermittelt werden. Die Familien aus verschiedenen Kulturkreisen und Herkunftsländern (Deutschland, Syrien, Nigeria, Polen, Nepal, Tunesien und Rumänien im Alter von 17 bis 38 Jahren) waren durch unterschiedliche Lebenssituationen geprägt und belastet: z.B. Integrationsprobleme, Isolation, Partnerschaftsprobleme bis hin zu häuslicher Gewalt, große Unsicherheit bei der Versorgung eines Neugeborenen, Umgang mit Behörden (Existenzsicherung), Umstellung auf die veränderte Lebenssituation, unsichere Persönlichkeit etc.
Ein weiteres Aufgabengebiet der Familienpatinnen besteht darin, die Angebote und Anlaufstellen für Mutter und Kind (Familienbildungsangebote, PEKiP-Gruppen, Elterncafés, Müttertreffs, Frauen- und Kinderarzt, Spielgruppenangebote für zukünftige Kita-Kinder, Ladies Night als interkultureller Frauenabend, Erziehungsberatungsstelle etc.) in Bochum-Wattenscheid aufzusuchen bzw. sich gemeinsam zu informieren. Die Familienpatinnen agieren somit auch als Lotsin in dem Sozialraum, so dass sich neue Kontakte und kleine persönliche soziale Netzwerke mit Unterstützungswirkung entwickeln können. Fragen der Existenzsicherung und daraus oftmals resultierende psychische sowie emotionale Belastungen der Mutter / der Eltern sind sehr häufig ein Aufgabengebiet der Familienpatinnen. Mehrfachbelastungen wie Suchterkrankungen der Angehörigen, gesundheitliche Einschränkungen, traumatische Erlebnisse, Arbeitslosigkeit, Armut etc. führen in Einzelfällen zu einer Überlastung und bringen die Mutter an ihre Grenzen – auch im Hinblick auf die Versorgung und Zuwendung des Kindes. Als Vertrauensperson gewinnen die Familienpatinnen auch Einblicke in mögliche Notlagen der Familie bzw. einzelner Mitglieder, um sie dann auf Beratungs- und Unterstützungsleistungen (Erziehungs-, Schulden- und Eheberatung, sozialer Dienst, psychosozialer Dienst, Clearing-Stelle, Selbsthilfegruppen etc.) des Sozialraumes hinzuweisen, die Mutter dorthin zu begleiten und so mögliche Schwellenängste zu nehmen.
Mehr und mehr sollen die Familienpatinnen eigenverantwortliches Handeln der Familien fördern, wozu auch die Inanspruchnahme privater und institutioneller Hilfen gehört. Die Familienpatinnen sollen die Familien/ Mütter dazu ermutigen, Entscheidungen zu treffen, Aufgaben selber in die Hand zu nehmen und umzusetzen, bis die Familienpatin sich langsam aus der aktiven Rolle zurückziehen kann.
Fazit: Diese anspruchsvollen Aufgaben lassen sich nur erfolgreich bewältigen, weil das multiprofessionelle Fachteam, in dem sich verschiedene Institutionen inhaltlich regelmäßig austauschen und gegenseitig weiterbilden und qualifizieren, eng und vertrauensvoll zusammenarbeitet. In der Zusammenarbeit werden wertvolle Erkenntnisse und Informationen über den Alltag der betroffenen Familien beleuchtet, strukturelle Fehlerquellen erkannt und neue Wege für die Unterstützung belasteter Familien entwickelt. Diese Arbeit hat neben der Bewältigung bereits bestehender Probleme einen stark präventiven Ansatz – und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Fehlerquellen in der Kommunikation zwischen verschiedenen Institutionen und den betroffenen Familien werden erkannt und können dadurch behoben werden (Beispiel Informationsfluss Krankenhaus und Jugendamt).
Durch das niederschwellige Angebot werden Familien unaufgeregt und frühzeitig erreicht. So können drohende Schwierigkeiten rechtzeitig erkannt und bearbeitet werden. Durch das multiprofessionelle Team wächst die Sensibilität für kritische Situationen, die z.B. eine Weitervermittlung zum Jugendamt oder anderen Hilfssystemen erforderlich machen.
Durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Familienpatinnen erleben die Familien ein positives Beispiel für Unterstützung, lernen Hilfsangebote im Sozialraum kennen und wenden sich bei neuen Problemen eher und vertrauensvoller an Unterstützer.
Die Vertreterinnen der Institutionen wie Jugendamt, Gesundheitsamt, Beratungsstellen lernen durch die hautnahen Erfahrungen aus der Praxis die Lebenswirklichkeit der Familien immer wieder neu kennen und können ihre Konzepte daraufhin überprüfen und anpassen.
Die Wirksamkeit der Ansätze und Arbeitsweisen kann schwerlich an konkreten messbaren Zahlen dokumentiert werden. Sie wird jedoch bei näherer Betrachtung der individuellen Einsätze deutlich, so dass eine Fortführung bzw. Verstetigung des Projektes mehr als sinnvoll erscheint.
Da das Projekt gute Erfolge im Anliegen der Unterstützung und Verselbständigung junger Familien leistet, möchten alle Kooperationspartner diese Arbeit gerne fortsetzen.
Während der Projektlaufzeit BILDUNG(S)GESTALTEN / Netzwerk HATWATT zeichnete der PEV unterstützt durch Fördergelder der Anneliese-Brost-Stiftung verantwortlich für die Familienpatinnen. Er hat großes Interesse, diesen Teil substantiell im Sozialraum zu verankern. Aber auch alle anderen Beteiligten sprechen sich für die Fortsetzung dieser Arbeit aus. Sie wollen gemeinsam versuchen, diesen Wunsch umzusetzen.
Kooperationspartner
SKFM Wattenscheid, Gesundheitsamt, Familienhebammen, Sozialer Dienst / Jugendamt Bochum, Sozialraumkoordinatorin, Standortkoordinatorin, PEV, gefördert durch Mittel der Anneliese-Brost-Stiftung
Laufzeit
an 2- 3 Tagen in der Woche seit März 2013
(junge) Erwachsene (ab 18 Jahren), Bewegung/ Sport/ Akrobatik/ Tanz/ Gesundheit(-sförderung), Beziehung/ Beziehungsarbeit/ personales Angebot/ Begegnung, Bildung/ Bildungsbegriff/ Lerngelegenheit/ Bildungsgelegenheit/ Bildungsort/ Ganztagsbildung, Familienbildung/ Elternarbeit/ generationsübergreifend, Identität/ Ich-Stärkung/ Identifikation, informelles Lernen/ non-formales Lernen/ Lernen, Multiprofessionalität/ multiprofessionelles Team/ Teamentwicklung, Problemlösung/ Konfliktlösung/ Konfliktbearbeitung, Unterstützung/ Beratung/ (Kinder-)schutz/ Sensibilisierung/ Begleitung/ Förderung, Zugang zur Bildungslandschaft/ Zugänge/ Teilhabe