„Bildung ist mehr als Schule“
…lautet die erste und meistzitierte Leipziger These des Bundesjugendkuratoriums aus dem Jahr 2002. Mit dieser Aussage wird ein erweiterter Blick auf Lernen und Bildung gerichtet, der die Anerkennung der Bedeutung von Bildung über Schulerfolg und Beschäftigungsfähigkeit hinaus in den Vordergrund stellt und der neben formellen Lernsettings wie Schule oder Universitäten auch sogenannte non-formelle und informelle Lernsettings miteinbezieht weil er anerkennt, dass Menschen lebenslang an unterschiedlichen Orten und zu allen Gelegenheiten lernen: zu Hause, auf der Straße, zusammen mit Freunden, im Jugendzentrum… Im 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung wurde dieser Entwicklung Rechnung getragen und schließlich eine grundlegend neue Organisation von Bildung empfohlen, die die Bedeutung von informellem und non-formalem Lernen stärkt und den sogenannten erweiterten Bildungsbegriff in der Bildungsdebatte als Standard setzt.
Das seit einigen Jahren proklamierte und favorisierte Konzept der kommunalen, regionalen bzw. lokalen „Bildungslandschaften“ soll eine Antwort auf den Bedarf der Neuorganisation von Bildung geben und dem Anspruch des progressiven Bildungsverständnisses praktisch gerecht werden. Dabei wurden vor allem die Vorzüge der kleinräumigen Ebenen von Regionen, Kommunen und des lokalen Nahraumes für den Einbezug sämtlicher bildungsrelevanten Akteur_innen und der Adressat_innen in die Gestaltung von Bildung hervorgehoben. Kommunale Bildungslandschaften sollen allen Kindern und Jugendlichen einen besseren Zugang zu vielfältigen Bildungs- und Erfahrungsorten ermöglichen und sie so zur Verwirklichung ihrer Vorstellungen eines guten Lebens befähigen.
Seit der Entstehung dieses Konzepts sind viele z.T. große Projekte und Programme mit den unterschiedlichsten Ansätzen und Ideen auf den Weg gebracht worden. Meist bestimmen dabei zentrale Steuerungsgremien „von oben“ über den Verlauf sowie Inhalte und Methoden. Zudem steht bei fast allen großen Projekten die Institution Schule im Zentrum. Einrichtungen und Arbeitsfelder der non-formalen und informellen Bildung werden teilweise übersehen oder im schlimmsten Fall als Dienstleister_innen des formalen Bildungssystems wahrgenommen. Auf strategischer Ebene nehmen Vertreter_innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Familienbildung meist nur eine Randstellung ein. Zudem wird die Auseinandersetzung mit Bildungslandschaften fast ausschließlich institutionell geführt, eine systematische Einbindung informeller Bildungsorte findet kaum statt.
Statt der erhofften Neuorganisation von Bildung, die junge Menschen zu einer gelingenden Lebensführung nach ihren Bedürfnissen befähigt, wird in der Bildungslandschaftspraxis mehrheitlich ein schulisch geprägtes Bildungsverständnis realisiert, das weniger bei ihnen als vielmehr vor allem beim Schulsystem ankommt und auf dessen Verbesserung abzielt.
Diese Entwicklung wurde in der Arbeitsgemeinschaft Offene Türen Nordrhein-Westfalen e.V. (AGOT-NRW e.V.) kritisch diskutiert. Die Beteiligten kamen zu dem Schluss, dass es ein neues Bildungslandschaftsmodell „von unten“ braucht. Dessen Konzeption muss strukturell sicherstellen, dass die progressiven Potenziale einer direkten und unmittelbaren Einbindung der Akteure_innen und Adressat_innen vor Ort tatsächlich entfaltet werden können und bei den jungen Menschen ankommen.
Die Beteiligten in der AGOT-NRW e.V. ergriffen daraufhin Initiative: Sie brachten ihre unterschiedlichen Zugänge und Expertisen zusammen und konzipierten ein bundesweit einzigartiges Projekt zu Kommunalen Bildungslandschaften aus der Sicht der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Familienbildung, das ab 2011 mit der Förderung des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und der Unterstützung der Anneliese Brost-Stiftung praktisch realisiert wurde:
Das Projekt BILDUNG(S)GESTALTEN.
Nach Abschluss des Projektes BILDUNG(S)GESTALTEN zeigt nun sowohl diese Dokumentationshomepage als auch der schriftliche Abschlussbericht, wie das Projekt strukturell aufgestellt war, auf welchen inhaltlichen Annahmen der Ansatz von BILDUNG(S)GESTALTEN beruhte und inwieweit es gelungen ist, eine Bildungslandschaftspraxis zu entwickeln, die jungen Menschen die Aneignung vielfältiger Kompetenzen zur selbstbestimmten Gestaltung ihres Lebens ermöglicht.
Da das Projekt BILDUNG(S)GESTALTEN als Modellprojekt angelegt war, wird bei den Projektergebnissen schließlich auch ein abschließendes Fazit gezogen, bevor daraus hervorgehende Folgerungen und Forderungen formuliert werden. Neben Handlungsempfehlungen für die Praxis werden dabei auch die Bedingungen in den Blick genommen, die eine angemessene Umsetzung des Potenzials von Kommunalen Bildungslandschaften befördern oder verhindern und entsprechende politische Weichenstellungen von Land und Kommune erfordern.